Circular gestures
kuratiert von
Alejandra Monteverde und Alexandra Romy
mit
Camille Dumond
Luisanna Gonzalez Quattrini
Tomas Maglione
Jacopo Mazzetti
Raul Silva
Zoé de Soumagnat
Circular gestures eine Gruppenausstellung
Eröffnung:
Sonntag, 27. März 2022, 14–18 Uhr
28. März – 08. Mai 2022
Die kreisförmige Zeit oder die endlosen Rückläufe suggerieren, dass sich alle Dinge ewig wiederholen. Die kreisförmige Zeit hat kein Ende, sie ist ständig in Bewegung. In Die Fröhliche Wissenschaft (1) entwickelt Nietzsche die Idee des Kreislaufs der Zeit oder der ewigen Wiederkehr unter dem Namen amor fati – die Liebe zum Schicksal – und bringt damit zum Ausdruck, dass wir, da sich alles im Leben unendlich wiederholt, unser Schicksal, unsere unendlichen Wege des Werdens und das Chaos lieben und umarmen sollen. Die zirkuläre Zeit ist per Definition das Gegen- teil von Fortschritt, der in den Bereich der linearen Zeit einzuordnen ist. Denn der Fortschritt kann nicht als Kreis dar- gestellt werden, sondern nimmt eher die Form einer Linie an. In der westlichen Kultur ist der Fortschritt ein Prozess, um ein Ergebnis zu erreichen: eine Besessenheit nach Perfektion, die uns auf einen Weg der ewigen Verbesserung zwingt. Somit haben wir keine andere Möglichkeit, als uns zu berichtigen und voranzuschreiten. Es ist ein modernes menschliches Ziel, letzten Endes das Paradies zu erreichen, und die neoliberalen kapitalistischen Wirtschaftssysteme lösen nichts anderes in uns aus. Unsere Körper sind zur Ware geworden, und wir sind gezwungen, zu wachsen, zu konsumieren und zu verschwenden (2).
Aber was wäre, wenn wir die Zeit nicht in drei unterschiedliche und fremde Einheiten – Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft – untergliedern, sondern uns mit unseren Körpern in der Zeit verorten würden? Die Vergangenheit ist das, was wir vor uns sehen können, und die Zukunft ist etwas, das sich hinter unserem Rücken befindet. Das andine Denken verkörpert wortwörtlich die Zeit; wobei das Wort „Augen“ für die Vergangenheit und „Rücken“ für die Zukunft steht. Jetzt hat sich die Perspektive geändert, wir bewegen uns immer noch, aber wir gehen rückwärts, halten uns an die Vergangenheit und erkennen die Zukunft als etwas, das wir unmöglich sehen können, es sei denn, wir drehen den Kopf über die Schulter und werfen einen kurzen Blick auf sie. Im andinen Denken ist die Zeit – ebenso wie der Raum – ein Haus, ein Ort, den wir bewohnen. Sie ist ein Herzschlag, das Atmen der Luft, das ständige Hin und Her des Meeres oder der ewige Wechsel zwischen Tag und Nacht – eine zyklische Wiederholung, die der Ordnung des Kosmos entspricht. Die Zeit ist kein Quantum, das in mathematischen Begriffen ausgedrückt oder besessen werden kann, sondern wird in ihrer Körperlichkeit betrachtet, entweder nach ihren quantitativen Merkmalen, wie Dichte oder Gewicht, oder nach ihrem relationalen Aspekt, zum Beispiel im Zusammenhang mit der Bedeutung eines Ereignisses oder einer Festlichkeit (3).
Während wir im Abendland stets in die Zukunft vorgedrungen sind, sie mit unseren Ideen kolonisiert und mit dem, was in unseren Köpfen war (4), gestaltet haben, gibt es in der andinen Zeitauffassung keine Vorstellung von Fort- schritt. Was im Abendland zeitlich vorwärts in der Zukunft liegt, ist im andinen Denken zurück. Deshalb gibt es keine Notwendigkeit für mutmassliche Prognosen, keine Notwendigkeit für den Wunsch „zu werden“, es gibt einfach ein Bedürfnis zu sein (5).
In seiner Video-Performance For future‘s sake thematisiert Raul Silva unseren Willen zum Fortschritt. Die Arbeit wird von einer Zeichnung begleitet, die das Publikum mitnehmen kann. In der Performance fertigt Silva eine automatische Zeichnung an und liest ein halbfiktionales Familienzeugnis vor, in dem es um die Unmöglichkeit geht, die Gegenwart durch die Transformation eines konkreten Ereignisses in der Vergangenheit zu verändern. Silva reproduziert immer wieder die gleiche Zeichnung, bis das Publikum erkennt, dass diese Zeichnung genau die gleiche ist wie die, die sie in ihren Händen halten. In Tomas Magliones Video, When the world dissolves, folgen wir der Reise eines runden Federobjekts, das sich ohne jegliche Handlung in den Strassen von Buenos Aires dreht und dabei unendlich viele Kreise zieht. Auch Jacopo Mazzettis Skulptur spricht ein Gefühl der Kreisförmigkeit an. Ihre Form, die eine indust- rielle Drehbank und eine Sonnenblume kombiniert, scheint unser industrielles Wesen mit einer Art astralen Natur in einem durchdrungenen Paradox zu verbinden. Children, die in Kristallquarz eingravierte Skulptur, gehört zur Linie der Ahnensteine, welche entstanden sind, um Geschichten zu erzählen, unter anderem: der Altar von Coricancha, dessen goldene Platte geschnitzt wurde, um die andine Kosmologie darzustellen (6).
In der Malerei von Zoé de Soumagnat und der Skulptur von Camille Dumond handelt es sich um verkörperte Ges- ten und Bewegungen. De Soumagnats Beine scheinen eine Dualität zu umkreisen: ein Verlangen sich zu bewegen bei gleichzeitiger Einschränkung; vielleicht eine Aufforderung die Richtung zu ändern oder woanders hinzuschau-
en. Gegenüber schwebt Dumonds Mobile in einer kontinuierlichen Bewegung sanft in der Luft, doch bleibt zugleich elegant an seinem Platz. Die Gemälde von Luisanna Gonzalez Quattrini hingegen führen uns an einen Ort, der jede Vorstellung von Zeit auslöscht und uns auffordert, für eine Weile stillzustehen und nachdenklich auf das zu schauen, was vor uns liegt; subtile Farbflächen, die eine Welt vor unseren Augen sichtbar machen, die unsere Aufmerksamkeit verdient.
Circular gestures ist ein Versuch, die Zeit mit unseren Körpern zu denken, uns in der Zeit als Raum zu verorten, die Kreisförmigkeit des Lebens mit einer bestimmten Bewegung oder Grösse zu umarmen oder zu akzeptieren. Circular gestures bedeutet, sich im Kreis zu bewegen.
– Alejandra Monteverde & Alexandra Romy
1 Friedrich Nietzsche, The Gay Science, 1882, IV, §341.
2 Josef Estermann, Intercultural philosophy / Andean philosophy, Intercultural Theology, Andean Theology, An anthology, International school for intercultural philosophy, 2021, p.127.
3 The entire paragraph refers to Israel Arturo Orrego Echeverría, Ontología relacional del tiempo-espacio andino: diálogos con Martin Heidegger, Bogotá: Universidad Santo Tomás, 2018, pp 131-139.
4 Ursula K. Le Guin, Dancing the Edge of the world, 1989, pp.142-143.
5 Israel Arturo Orrego Echeverría, op cit.
6 Replica of the Inca Golden altar of Coricancha, Church of Santo Domingo, Cuzco, Peru.